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Die Kältehilfe wackelt – Pressekonferenz zum Saisonstart 2023/24

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Am 1. Oktober beginnt die Kältehilfeperiode 2023/24 und die ersten Einrichtungen der Berliner Kältehilfe eröffnen wieder. Zu diesem Anlass fand am 29. September die Kältehilfe-Pressekonferenz der LIGA der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in der der St.-Thomas-Kirche in Berlin statt. 

„Die Kältehilfe wackelt. Der Berliner Immobilienmarkt ist eine reale Gefahr für das Nothilfesystem!“, mahnen das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Federführung 2023/24), der Caritasverband für das Erzbistum Berlin, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Landesverband Berlin, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin, der DRK Landesverband Berliner Rotes Kreuz sowie die Jüdische Gemeinde zu Berlin.

Es fehlen mindestens 400 Kältehilfeplätze

Im kommenden Winter stehen ca. 1.000 Notübernachtungsplätze zur Verfügung, davon knapp 700 „reine“ Kältehilfeplätze. Auch die Neue Chance und die GEBEWO pro engagieren sich in dieser Kältehilfeperiode wieder mit Angeboten: Neben der bei der GEBEWO pro angesiedelten Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe und dem ganzjährig geöffneten Tagestreff am Containerbahnhof, öffnet auch die Neue Chance erneut die Notunterkunft in der Bergstraße 4 am Wannsee. Doch nach aktuellen, seriösen Schätzungen fehlen in diesem Jahr mindestens 400 Plätze. Ohne langfristige Lösungen wird dieses Kältehilfesystem dem Berliner Immobilienmarkt zum Opfer fallen. 

Angebotene Gebäude nicht nutzbar oder sehr entlegen

Dr. Ursula Schoen, Diakonie-Direktorin und LIGA-Federführung, machte deutlich, dass zu wenig Immobilien für die Kältehilfe zur Verfügung stehen. Die wenigen leerstehenden Gebäude, die der Kältehilfe-Koordinierungsstelle 2023 angeboten wurden, stehen überwiegend kurz vor dem Abriss oder sind häufig in unbrauchbarem Zustand, zum Beispiel durch jahrelange Trennung von den Versorgungsnetzen. Investitionen werden nicht für eine kurzzeitige Zwischennutzung als Kältehilfeeinrichtung getätigt. Auch das Anmieten von Immobilien ist ein Problem, da die Mietverhältnisse nur für wenige Monate im Jahr geschlossen werden – dies ist für Vermieter meist uninteressant. Eine weitere Hürde ist, dass die Nachbarschaft bei größeren Einrichtungen für das Thema Wohnungslosigkeit sensibilisiert werden muss.

Sabrina Niemietz von der Kältehilfe-Koordinierungsstelle (GEBEWO pro) sieht ein weiteres zentrales Problem: „Uns wurden ausschließlich Objekte weit außerhalb des Rings angeboten, in den äußersten Stadtteilen. Das allein heißt nicht, dass dort kein gutes Angebot entstehen kann. Für viele obdachlose Menschen sind weite Fahrten aber schlicht nicht möglich: Sie sind – abgesehen vom Fahrgeld – körperlich und oft auch psychisch nicht in der Lage für eine lange Anfahrt und den letzten Kilometer von der Bushaltestelle durch ein dunkles, nicht frequentiertes Gewerbegebiet. Es besteht, hart gesagt, das Risiko, dass diese Menschen in der Kälte zusammenbrechen, am Straßenrand liegen bleiben und, dass sie bis zum Morgen niemand findet. Kältehilfe soll eigentlich genau diesen Menschen Schutz bieten! Der Entwicklung von immer mehr Notübernachtungen am Stadtrand sehen wir deswegen mit größter Sorge entgegen. Vor allem, weil es auch innerstädtisch Leerstand gibt, der generell vermieden werden sollte.“

Übergangshäuser als mögliche Alternative

Die optimierte Nutzung von Übergangshäusern könnte das Problem akut abmildern. Sie bieten ein vorübergehendes Wohnen mit sozialpädagogischer Betreuung, sind aber selten vollständig belegt. Auch die Weitervermittlung aus Notunterkünften zur Abwendung von Gefahren (Wohnheimen, Hostels oder Pensionen nach dem sog. ASOG) kann verbessert werden. Mittlerweile haben die Berliner Ordnungsbehörden 40.000 Menschen in diesen Unterkünften einquartiert.

Kritik an zu wenig staatlicher Unterstützung

Dr. Ursula Schoen: „Auch in den Tagesstätten und Suppenküchen erleben wir einen rasant wachsenden Bedarf. Sie fangen die Stadtarmut auf und bieten tagsüber Kälteschutz. Dafür erhalten Sie in der Regel eine viel zu geringe staatliche Unterstützung. Es ist gut, dass die Senatsverwaltung die nächtliche Kältehilfe mit einer besseren Finanzierung sichern möchte. Aber das Leben auf der Straße ist auch tagsüber und bei jeder Witterung gefährlich. Wir sind zudem sehr besorgt über die erhebliche Mittelkürzung für die Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen. Das ist verantwortungslos und gefährdet zusätzlich die Versorgungssicherheit ganz erheblich.“

Forderung nach ganzjährigem Hilfesystem

Die LIGA der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege fordert deshalb: „Berlin hat kein Potenzial mehr für temporäre Lösungen! Nur mit einem ganzjährigen Hilfesystem wird es überhaupt möglich sein, Wohnraum zu schaffen und dem staatlichen Schutzauftrag für Wohnungs- und Obdachlose nachzukommen.
Wir fordern die Verantwortlichen im Land Berlin auf, die Kältehilfe so auszustatten, dass sie ein stabiles Angebot für wohnungslose Menschen im Winter bleibt. Damit stärken sie auch das unersetzliche Engagement vieler Ehrenamtlicher und das freiwillige soziale Engagement für Berlin insgesamt.“

Die Einrichtungen und Projekte der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege stellen 100% aller Notunterkünfte zur Abwendung von Gefahrenlagen (4.000) sowie 100% aller Wohnungslosen- und Suchtberatungen in Berlin.

Neue Webseite und App der Berliner Kältehilfe zeigen freie Schlafplätze an

Auf der neuen Webseite unter https://kaeltehilfe-berlin.de und in der neuen Version der App können Hilfesuchende über ein Ampelsystem schnell erkennen, welche Notübernachtung aktuell noch Schlafplätze zur Verfügung hat und welche ausgelastet ist. Diese Funktion wird im Laufe der Kältehilfeperiode 2023/24 schrittweise aufgebaut. Für Androidgeräte steht die App im Playstore zum Download und für Apple im App Store zur Verfügung.