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Foto: canva.com - Vladimir Kudinov

5. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe

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In diesem Jahr ging die Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe in Berlin in die 5. Runde.  Wie auch im letzten Jahr fand die Konferenz aufgrund der Pandemie digital statt. In insgesamt neun Websessions kamen verschiedene Personen aus der Berliner Hilfelandschaft und der Politik zusammen, um über die Umsetzung der Leitlinien zur Hilfe für Wohnungslose in Berlin zu diskutieren. Aus unserem Trägerverbund waren gleich mehrere Mitarbeitende in verschiedenen Websessions beteiligt, in die wir hier einen Einblick geben wollen.   

Auftakt zum Masterplan 

Die Auftaktveranstaltung diente zum einen der Reflexion der letzten Jahre. Zum anderen wurde hier erstmals die Idee des Masterplans zur Überwindung von Wohnungs-und Obdachlosigkeit bis 2030 durch Sozialsenatorin Elke Breitenbach vorgestellt. Auf dieses hehre Ziel haben sich sowohl die Vereinten Nationen als auch das Europaparlament festgelegt. Das Leitmotiv des Masterplans lautet „Housing First“.

Mehr Flexibilität gefordert

Die Websessions starteten mit einer Diskussionsrunde zur Weiterentwicklung der Hilfen gemäß §§ 67, 68 SGB XII ab, an der u. a. Ingo Bullermann, Geschäftsführer der Neuen Chance und die Leitung der Kriseneinrichtung für Frauen der Bürgerhilfe, teilnahmen. Im Zentrum stand die Weiterentwicklung der 67er-Hilfen im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedarfe spezieller Zielgruppen. Ingo Bullermann brachte hierbei Impulse zur Bedarfsgruppe junger Erwachsener ein und die Leitung der Kriseneinrichtung referierte zur Personengruppe wohnungsloser Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Während für Familien bereits über einen speziellen neuen Leistungstyp verhandelt wird, um ihren speziellen Bedarfen gerecht zu werden, sind weitere Reformen notwendig, um auch Personengruppen wie junge Erwachsenen und psychisch Erkrankte bedarfsgerecht versorgen zu können. Eine Forderung war deshalb eine Flexibilisierung der Hilfeintensität. Diese würde abgestufte Leistungsumfänge unabhängig von der Wohnform ermöglichen. So wären Hilfen nach §§ 67, 68 SGB XII einerseits für Menschen mit höheren Bedarfen zugänglicher und die Wirksamkeit könnte insgesamt erhöht werden. Einzig im Leistungstyp Krisen- und Clearingeinrichtung wäre eine solche Reform nicht umzusetzen. Stattdessen ist hier eine Anpassung der Finanzierung dringend notwendig. Gefordert wurde eine Herausnahme aus dem Planmengen-/Basiskorrekturverfahren und die Einrichtung eines eigenen Budgethaushaltes.

Besserer Anschluss für EU-Bürger*innen 

Auch die Situation von wohnungslosen EU-Bürger*innen wurde in einer Websession beleuchtet. Menschen aus EU-Ländern sind in vielen Fällen von Sozialleistungen ausgeschlossen, weshalb sie besonders häufig niedrigschwellige Angebote nutzen müssen, um zu überleben. In der Diskussionsrunde, an der auch Svenja Ketelsen von den Frostschutzengeln teilnahm, ging es um die Frage, inwiefern die entwickelten Leitlinien eine Verbesserung der Lebenssituation ermöglichen konnten und wo es weiterhin Lösungen braucht. Hier gibt es insbesondere Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen und Unterbringung sowie Integrationsleistungen. Wieder einmal zeigte sich, dass mehrsprachige Angebote ein wichtiger Schlüssel sind, um Menschen aus dem EU-Ausland zu erreichen und den Zugang zum Hilfesystem zu ermöglichen.  Die Session machte deutlich, dass für die Umsetzung der Leitlinien in diesem Bereich noch einiges passieren muss. Im Vordergrund steht hier die bessere Vernetzung der Verwaltung und der Praxis. Im Nachgang zur Strategiekonferenz wird daher die Arbeit der AG-EU Bürger*innen weiter ein Forum sein, damit Senat, Bezirke und Praxis an einem Tisch über die weitere Umsetzung sprechen können.

Wohnungslosenhilfe in Pandemiezeiten 

Selbstverständlich durfte auch das Thema Corona  auf der Strategiekonferenz nicht fehlen. Unter dem Titel „Testen, Impfen, Quarantäne“ an der u.a. Christin Recknagel von der Arztpraxis am Stralauer Platz der GEBEWO pro teilnahm. Moderiert wurde die Runde von Sabrina Niemitz und Jens Aldag von der Koordinierungsstelle Berliner Kältehilfe. Insgesamt war man sich einig, dass trotz Schwierigkeiten und Verzögerungen vieles geleistet wurde, um niedrigschwellige Angebote für unter Beachtung von Hygiene- und Abstandsregeln aufrechtzuerhalten. Zusätzlich war es gelungen, dass die besonders vulnerable Zielgruppe obdachloser Menschen ein Impfangebot ohne Ausweis oder Krankenversicherung erhalten konnte. Kritik gab es für die uneinheitlichen Regelungen der bezirklichen Gesundheitsämter. Entsprechend wurde der Vorschlag von Nina Przyborowski vom Gesundheitsamt des Bezirks Mitte begrüßt, die Verantwortung in Zukunft nur einem Gesundheitsamt zu übertragen. Weiter waren sich alle Beteiligten einig, dass eine dauerhafte Installation von Test-, Impf- und Quarantänemöglichkeiten in den Angeboten der Wohnungslosenhilfe unabdingbar ist. 

Neues Konzept zur medizinischen Versorgung 

Auch in der ersten Websession nach dem Wochenende ging es um Gesundheit. In einem Workshop mit dem Runden Tisch zur medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung obdachloser Menschen, zu dem auch Ekkehard Hayner von der GEBEWO gehört, wurden u.a. Zahlen zum aktuellen Stand vorgestellt. Hierbei wurde deutlich, dass das medizinische Versorgungssystem stark unterfinanziert ist und ohne Spenden und ehrenamtliche Unterstützung nicht aufrechterhalten werden kann. Dabei ist der Bedarf groß: 2019 gab es fast 34.000 Konsultationen und mehr als 8.000 Patient*innen wurden registriert.“ Dabei verfügten nur rund 9 % der Menschen eine nutzbare Krankenversicherung, sodass eine Integration in das Regelsystem meist nicht möglich ist. Um die Situation besser überblicken zu können, forderten die Mitglieder des Runden Tischs eine regelmäßige Gesundheitsberichterstattung durch den Senat. Weiter wurde ein Konzept zur langfristigen Versorgung vorgestellt. Dieses sieht regionale Versorgungszentren vor, in denen (zahn-)medizinische Versorgung, sozialarbeiterische Hilfen, Hygiene- und weitere Unterstützungsangebote kombiniert werden, um so eine verlässliche und wirksame Versorgung zu ermöglichen. Es gab viel positives Feedback und auch die Senatsverwaltung für Gesundheit das Konzept bewertete das Konzept als geeignet, um die Zielgruppe bedarfsgerecht zu versorgen. Sie signalisierte auf der Strategiekonferenz die Bereitschaft mit dem Runden Tisch an einer Realisierung zu arbeiten und eine regelmäßige Gesundheitsberichterstattung in Angriff zu nehmen.

Housing First als Teil des Masterplans 

In weiteren Veranstaltungen der Strategiekonferenz ging es unter anderem um die Umsetzung einer zweiten „Nacht der Solidarität“, Safe Places, das Projekt „Gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung“ (GStU), Präventionsmöglichkeiten von Wohnraumverlust und soziales Wohnraummanagement. Die Abschlussveranstaltung hatte in diesem Jahr den Ansatz Housing First zum Thema. Vortragsgast war Juha Kaakinen von der Y-Foundation in Finnland. Die Y-Foundation arbeitet seit den 1980er-Jahren mit dem Ansatz und ist heute eine der vier größten Wohnungsanbieter in Finnland. Ein besonders interessanter Aspekt war die Umwandlung von Unterkünften in Wohnanlagen, wodurch eine Wohnraumversorgung unabhängig vom freien Immobilienmarkt erleichtert wird.
Auch wenn Sozialsenatorin Breitenbach in dem vorgelegten Masterplan Housing First als wesentliches Instrument vorsieht, gab es in der Veranstaltung keine konkreten Aussagen zu einem möglichen Übergang der Berliner Housing First Projekte in das Regelhilfesystem. So verbleiben die Projekte abhängig von Zuwendungsmitteln – und damit in ihrer Finanzierung unsicher sowie in den Kapazitäten eingeschränkt. Dabei würde eine Einbindung des Ansatzes in die Hilfen nach §§ 67, 68 SGB XII den Zugang für die Zielgruppe stark vereinfachen und für eine größere Zahl an Personen öffnen. 

Fazit der Konferenz: Viel passiert aber noch viel zutun 

Die gesamte Konferenz war von fachlichen Diskussionen und einem regen Austausch geprägt. Die unkomplizierte digitale Umsetzung machte es Interessierten leicht, an einzelnen Veranstaltungen teilzunehmen. Hinsichtlich der angestrebten Entwicklungen in der Wohnungslosenhilfe ist es positiv zu bewerten, dass es in dieser Legislaturperiode insgesamt viel Aufmerksamkeit, Energie und finanzielle Mittel für niedrigschwellige Projekte, u. a. Housing First, die Koordinierungsstelle Berliner Kältehilfe oder 24/7-Einrichtungen gab. Hinsichtlich des nachhaltigen Ausbaus von Projekten wie z. B. Housing First, systemischer Reformen wie in den 67er-Hilfen oder des verbesserten Zugangs für EU-Bürger*innen oder Menschen ohne nutzbare Krankenversicherung gibt es hingegen noch großen Handlungsbedarf.

Wir sind gespannt, was das folgende Jahr an Veränderungen bringt und wie sich die strategische Umsetzung der Leitlinien nach der Wahl in diesem Herbst weiterentwickelt.