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Foto: canva.com - Davor Lovincic

6. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe

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Die 6. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe in Berlin fand vom 28. November bis 8. Dezember 2022 statt ­– auch dieses Jahr wieder digital. In den Veranstaltungen zur Eröffnung und zum Abschluss sowie in insgesamt elf Websessions kamen verschiedene Akteur*innen der Berliner Hilfelandschaft und der Politik zusammen, um über verschiedene Aspekte der Unterstützung für wohnungslose Menschen in Berlin zu diskutieren. Aus unserem Trägerverbund waren mehrere Mitarbeitende an verschiedenen Websessions beteiligt, in die wir hier einen Einblick geben wollen.

Bauen und Wohnen im sozial-gemeinnützigen Bereich

Berlin hat einen sehr angespannten Wohnungsmarkt mit einer geringen Verfügbarkeit von bezahlbaren Wohnungen. Daher wird seit Jahren darüber diskutiert, ob sozial-gemeinnützige Trägerorganisationen nicht verstärkt selbst bauen sollten. In der Websession zu diesem Thema trafen Vertreter*innen von Senat (Bauen, Wohnen Stadtentwicklung und Soziales), Trägerorganisationen und Bank (BfS) zusammen, um ihre Perspektiven auszutauschen. Auch die GEBEWO, vertreten durch Geschäftsführer Robert Veltmann, nahm daran teil.

Veltmann schilderte, dass die GEBEWO in den vergangenen Jahren schon häufiger um- bzw. neu gebaut hat und welche Herausforderungen die „Bauherren“-Rolle für soziale Organisationen mit sich bringt. Dazu gehört, dass neben den erheblichen finanziellen Risiken eine ausreichende betriebliche Infrastruktur vorhanden sein muss, um Grundstücksakquise, Bauplanung, Ausschreibung und Bauausführung gut zu managen – etwas, das kaum eine soziale Organisation stemmen kann. Veltmann betonte, dass Wohnen eine wichtige Lebensgrundlage darstelle und Wohnraum daher dem Allgemeinwohl dienen solle. Ein stärkeres Engagement der allgemeinwohlorientierten Akteure wie kommunale Unternehmen, (gemeinnützige) Genossenschaften und sozial-gemeinnützige Organisationen sollte daher im Interesse der Stadtgesellschaft liegen.
Aus finanzierender Bankansicht gab es die Rückmeldung, dass das Label „Gemeinnützigkeit“ nicht zur guten Bonität beitrüge, auch wenn soziale Organisationen teilweise bereit seien, finanzielle Rücklagen für den Bau einzubringen. Die bestehende Fördersystematik wurde daraufhin von einem Vertreter der Senatsverwaltung Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen genauer erläutert. Dabei stellte sich heraus, dass die Förderprogramme aktuell an den Bedarfen vorbeigehen, was sich vor allem daran zeige, dass 2022 von etwa vier Millionen Euro (Pilotförderprogramm Trägerwohnungen) nur knapp 290.000 Euro abgerufen wurden. Natürlich stellen dabei aber auch die aktuell stark steigenden Zinsen und die enorm gestiegenen Grundstückskosten und Baupreise eine eigene Herausforderung dar.

Veltmann schlug abschließend vor, noch mehr Unterstützung bereit zu stellen: Zum Beispiel könnten Land oder Wohlfahrtsverbände die Träger „an die Hand“ nehmen und durch den Förderdschungel manövrieren. Auch sollte der Abschluss von Erbbauverträgen mit gemeinnützigen Trägern nicht grunderwerbssteuerpflichtig sein und es sollten für sie deutlich geringere Grunderwerbssteuern beim Kauf von Grundstücken oder Gebäuden anfallen. Eine weitere Idee ist es, die Umsatzsteuer für Planungs- und Bauleistungen bei gemeinnützigen Bauvorhaben zu senken oder zu streichen. Außerdem könnten die Wohlfahrtsverbände ihre Mitglieder miteinander in Kontakt bringen und dabei begleiten, gemeinsam Baugenossenschaften zu gründen.

Der Austausch war insgesamt sehr konstruktiv und brachte neue Erkenntnisse (Rollenklärung, Förderprogramme) und wird hoffentlich fortgesetzt.

24/7-Unterkünfte als fester Bestandteil der Wohnungsnotfallhilfe

In der Websession zum Modell der über EU-REACT-Mittel geförderten 24/7-Einrichtungen stellten zwei der 2021 neu geschaffenen Einrichtungen unter Moderation von Marcel Deck (GEBEWO) diese im Land Berlin neue Form der niedrigschwelligen Unterbringung obdachloser Menschen vor. Kern des Angebotes dieser Einrichtungen ist neben einem Vermittlungsauftrag in das reguläre Hilfesystem die niedrigschwellige, nicht an Sozialleistungen gebundene Aufnahme in die Einrichtungen.

Im Fokus der Websession stand neben den Praxisberichten der Einrichtungen auch die Frage der Perspektiventwicklung dieser Angebotsform als geeignetem Baustein der Berliner Wohnungsnotfallhilfe zur Umsetzung der im Masterplan (Maßnahmen zur Beendigung der Obdachlosigkeit bis 2030) formulierten Ziele. Im Sinne der fachlichen Anreicherung der gemeinsamen Diskussion stellte zudem ein Fachkollege aus Wien das dortige Angebot der Chancenhäuser vor. Am Ende der Websession stand die Frage der konzeptionellen Weiterentwicklung und Finanzierung der Einrichtungen ab Ende kommenden Jahres. Zusammenfassend wurde von den rund 80 Teilnehmenden trotz teils kontroverser Diskussion die Sinnhaftigkeit der Angebotsform attestiert.

Medizinische Versorgung nachhaltig verbessern

Die Websession zum niedrigschwelligen medizinischen Versorgungssystem wurde organisiert und moderiert vom Runden Tisch zur medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung obdachloser Menschen, den die GEBEWO pro (Vertreten durch Geschäftsführer Ekkehard Hayner) gemeinsam mit dem Caritasverband koordiniert. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme der medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen in Berlin folgten interessante überregionale Inputs: So wird beispielsweise die Behandlung wohnungsloser Menschen in einzelnen Regionen Nordrhein-Westfalens durch eine kostendeckende Behandlungspauschale ermöglicht, zu deren Finanzierung gesetzliche Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen und Kommunen anteilig beitragen.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit sowie die Senatsverwaltung für Soziales – jeweils vertreten u.a. durch die Staatssekretär*innen – erläuterten im Anschluss, mit welchen Maßnahmen sie die medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen in Berlin nachhaltig verbessern wollen: Unter anderem ging es um eine auf der Landesgesundheitskonferenz entwickelte Roadmap für einzelne Maßnahmen wie die Veranstaltung eines Fachtags, die Erarbeitung eines Konzepts für Gesundheitszentren (basierend auf dem bei der letzten Strategiekonferenz vorgestellten Entwurfs des Runden Tischs) sowie die Einführung einer Gesundheitsberichterstattung. Alle Beteiligten erklärten ihren Willen, an diesem Prozess aktiv mitzuarbeiten.

Wege zu eigenem Wohnraum

Auch die Herausforderungen bei der Vermittlung wohnungs- und obdachloser Menschen in eigenen Wohnraum waren zentrales Thema einer Websession. Dazu wurden drei Projekte vorgestellt, die die nachhaltige Unterbringung dieser Zielgruppe im Fokus haben. So berichtete beispielsweise Sebastian Böwe von „Housing First Berlin“ über die Erfahrungen, die das Projekt der Neuen Chance in den vier Jahren seines Bestehens mit der Akquise von Wohnraum und der Unterstützung der ehemals obdachlosen Mieter*innen gemacht hat. Anschließend folgte eine angeregte Diskussion der etwa 70 Teilnehmenden zu möglichen Wegen und Lösungen.

Unterbringung auf Langfristigkeit auslegen

In der Websession „Unterkunft und Unterbringung wohnungsloser Menschen in Berlin“ stellten zunächst einige Teilnehmende – darunter auch Michaela Fuhrmann des GEBEWO-Projekts „FrauenbeDacht“ – ihre niedrigschwelligen Projekte vor und berichteten aus der täglichen Arbeit. Anschließend wurde das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und die unterschiedlichen Probleme der Zielgruppen benannt. Herausgearbeitet wurde dabei der Wunsch nach verbesserten bundesweiten Unterbringungsstandards, denn aktuell seien diese nur auf eine temporäre Unterbringung zur Verhütung akuter Obdachlosigkeit ausgelegt und nicht auf eine längere Verweildauer. Dabei sei vor allem wichtig, die räumliche und personelle Ausstattung der bestehenden Angebote anzupassen und dabei die individuellen Probleme der Betroffenen im Blick zu behalten sowie auch die Fallsteuerung nachhaltiger zu gestalten.

Qualitätsstandards für die Kältehilfe

Die Berliner Kältehilfe existiert seit über 30 Jahren und hat eine gewachsene Struktur, die sich aber auch weiterentwickelt. Was jedoch fehlt sind Qualitätsstandards. Dementsprechend existiert kein Konzept, welches eine Bewertung der Kältehilfe ermöglicht und woraus sich Verbesserungsbedarfe ableiten ließen.

In der Websession, die von der Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe durchgeführt wurde, fand zunächst eine Verortung der Kältehilfe im Gesamtsystem der niedrigschwelligen Versorgung statt. Zudem wurden die Komplexität und Vielschichtigkeit der Qualitätsfrage herausgearbeitet, um einen Überblick über die Thematik zu gewinnen. Anschließend diskutierten die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen die verschiedenen Qualitätsaspekte des Angebots an temporären Notübernachtungsplätzen. Dabei wurden neben zahlreichen Anforderungen, die die Notübernachtungen erfüllen sollen, auch Aspekte der Steuerung und Vernetzung sowie der Finanzierung herausgearbeitet. Klar wurde, dass Kältehilfe immer nur letzte Option sein kann und soll: radikal niedrigschwellig und möglichst vielfältig; ganzjährig geplant, gesteuert und realistisch finanziert. Dabei ist wichtig, dass eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung gewährleistet und die Mitarbeiter*innen adäquat entlohnt werden müssen.

>Housing First auch für EU-Bürger*innen

Die Websession zum Thema „Housing First… gilt das auch für EU-Bürger*innen?“ wurde von der AG EU-Bürger*innen vorbereitet und geleitet. Als AG-Koordinatorin war auch Svenja Ketelsen vom GEBEWO-Projekt „мост – Berliner Brücke zur Teilhabe“ an der Session beteiligt. Die AG begrüßt den Vorstoß des Senats, Housing First als Prinzip umzusetzen. Wichtig sei jedoch – und dies wurde in der Session diskutiert –, die Angebote von Beginn an konzeptionell so zu gestalten, dass sie sich auch an EU-Bürger*innen richten. Dabei wurde unter anderem über Überwindung von Sprachbarrieren (z.B. durch Sprachmittlung) sowie zeitliche Ressourcen für intensive Fallarbeit gesprochen. Es wurden Ideen gesammelt, wie eine Finanzierung von Mieten für die Zeit der Anspruchsklärung und Arbeitssuche aussehen kann. Beispielhaft wurde dafür ein Housing-First-Projekt für EU-Bürger*innen aus Lyon vorgestellt, welches zeigt, dass eine Finanzierung der Mieten für den Anfangszeitraum durch die Kommunen übernommen werden kann, wenn genügend politischer Wille da ist, auch für EU-Bürger*innen den Weg in weiterführende Hilfen zu ebnen.

Am 8. Februar 2023 wird in der vierteljährlich stattfindenden AG EU-Bürger*innen die Diskussion fortgeführt und nächste konkrete Schritte geplant.

Zusammenfassung

Die Websessions waren geprägt von dynamischen Diskussionen und es zeigte sich, wie wichtig und bereichernd der fachliche Austausch untereinander ist. Auch der Blick über den regionalen Tellerrand brachte vielfach neue Impulse und zeigte neue Möglichkeiten auch für die Berliner Hilfelandschaft auf. Deutlich wurde insgesamt aber auch, dass noch viel Arbeit vor den Akteur*innen liegt, um das anspruchsvolle Ziel der Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 zu erreichen.