Vor 25 Jahren eröffnet die GEBEWO mit dem Haus Langhans ihr erstes Wohnheim für wohnungslose alkoholkranke Männer, die nicht abstinent leben können. 2006 wird das
Angebot um Wohngemeinschaften erweitert. Das Jubiläum haben wir als Anlass genommen, um uns mit Jörg Röcker zu unterhalten – ein Mitarbeiter der ersten Stunde und heute Einrichtungsleiter. Ein Gespräch über die Arbeit in multiprofessionellen Teams, Trinkverbote und warum Flexibilität ein wichtiges Qualitätsmerkmal sozialer Angebote ist.
1999 ist der erste Bewohner ins Haus Langhans eingezogen. An was erinnern Sie sich aus der Startphase der Einrichtung?
Jörg Röcker: Ich habe damals bei eBay gebrauchte Schränke gekauft, die Schlösser eingebaut und das Linoleum verlegt, weil das Geld knapp war. Daran kann man auch ein bisschen sehen, wie die Geschichte der Einrichtung angefangen hat. Heute wäre das undenkbar, weil das die Haushandwerker und externe Firmen erledigen würden.
Die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt war damals entspannter, oder?
Klar, mit etwas Glück hat man damals innerhalb eines Tages eine Einzimmerwohnung gefunden. Aber trotzdem gab es Menschen, die sich nicht in Wohnungen vermitteln ließen und schon wegen Ruhestörung, Desorientierung oder ihres exzessiven Alkoholkonsums vier oder fünf Mal die Wohnung oder einen Wohnheimplatz verloren hatten.
Woran lag das?
Wohnungslosigkeit ist meistens ein Zeichen für komplexe gesundheitliche oder psychische Beeinträchtigungen, zu denen natürlich auch ein exzessiver Alkoholkonsum gehören kann. Uns war aber früh klar, dass wir Menschen nicht helfen können, indem wir ihnen einfach nur das Trinken verbieten. Das hat noch nie funktioniert. Aus dieser Erkenntnis haben wir das Haus Langhans aufgebaut. Denn die pädagogischen Hilfen in unserer ersten Einrichtung, dem Haus Grabbeallee, waren über die Wohnungsnotfallhilfe finanziert und damit zeitlich befristet sowie an Bedingungen geknüpft. Entsprechend hatten wir bei den Menschen, die nicht abstinent leben konnten, einen ziemlichen Druck und Kämpfe um Kostenübernahmen.
Mit dem Haus Langhans wollten wir einen guten Lebensraum für die Menschen schaffen, die nicht mit dem Trinken aufhören können. In der Eingliederungshilfe sind wir mit Einrichtungen wie dieser oder dem Haus Schöneweide im Referat „Gesundheit“ und nicht in der Abteilung „Soziales“ angesiedelt. Das bedeutet, dass wir hier mehr Personal aus unterschiedlichen Berufsgruppen haben. Denn wir sehen die Bewohner in ihrer Gesamtheit. Dazu gehört neben vielen anderen Faktoren natürlich auch der Alkoholkonsum als Zeichen einer psychischen Beeinträchtigung, die sich nicht mit einem Abstinenz-Dogma bearbeiten lässt. Wir waren die erste Einrichtung der GEBEWO, die Alten- oder Krankenpfleger*innen eingestellt hat. Heute arbeiten in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe zum Beispiel auch Kunst-, Ergo- oder Arbeitstherapeut*innen.
Ist dieser Ansatz einer suchtakzeptierenden Arbeit bei den Kostenträgern auf offene Ohren gestoßen?
Wir haben sehr viel Gegenwind bekommen, als wir mit Begeisterung unser Konzept für unsere neue Wohnform vorgestellt haben. Ich will die Kritik gar nicht im Einzelnen auflisten, aber den Satz „Das ist ja Betreutes Saufen“ habe ich anfangs mehr als einmal gehört.
Uns ging und geht es darum, dass unsere Bewohner nicht mehr auf der Straße leben und dort auch sterben müssen. Dass wir ihre physische und psychische Gesundheit im Blick haben. Und dass sie – eingebettet in eine sinnvolle Tagesstruktur – ein menschenwürdiges Leben führen können. Eben ein Zuhause haben, in dem sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut klarkommen. Ich erinnere mich beispielsweise an einen Bewohner, der sehr schlecht laufen konnte und sich stark isoliert hatte. Nachdem unsere Altenpflegerin ihm einen extrem eingewachsenen und dadurch schmerzenden Fußnagel entfernt hatte, hat sich seine Situation schnell deutlich verbessert. Das zeigt, wie wichtig es in unserer Arbeit ist, Menschen aus unterschiedlichen professionellen Blickwinkeln zu betrachten. Und das ist die große Stärke der Eingliederungshilfe.
Schon vor Jahren wurde das Angebot im Haus Langhans erweitert. Welche Angebote sind dazugekommen?
Wir haben irgendwann gemerkt, dass für einige Bewohner, die im Haus Langhans durch die Pflege und Unterstützung wieder gut auf die Beine gekommen sind, der Sprung in eine eigene Wohnung zu groß war. 2006 kam dann die Idee, eine Art „Zwischenwohnen“ auf die Beine zu stellen. Das war die Geburtsstunde des Verbunds Langhans41 – bestehend aus zunächst einer Wohngemeinschaft mit Unterstützungsangebot für nicht abstinenzfähige Männer und später einer zweiten Wohngemeinschaft für Menschen, die weitestgehend trocken sind. Dahinter steht auch der Ansatz der GEBEWO, abgestufte und flexible Angebote für unterschiedliche Hilfebedarfe anzubieten.
Was zeichnet für Sie ein gutes Angebot aus?
Ich finde es wie gesagt sehr wichtig, angepasste Hilfsangebote zu entwickeln und nicht nur in zwei oder drei Schubläden zu denken, in die die betroffenen Menschen dann irgendwie reinpassen müssen. Es ist für mich ein Zeichen von Qualität, die Angebote an den tatsächlichen Bedarfen auszurichten! Mal abgesehen davon ändert sich auch bei den Klient*innen viel. Wir merken zum Beispiel, dass die Menschen, die bei uns auftauchen, mittlerweile immer tiefgreifendere Beeinträchtigungen haben. Sie haben zum Beispiel schon als Achtjährige regelmäßig gekifft und mit 11 Jahren erste Erfahrungen mit harten Drogen gemacht. Das ist schon eine Herausforderung, weil das Haus Langhans und andere Einrichtungen der Eingliederungshilfe stark mit tagesstrukturierenden Angeboten arbeiten, mit denen wir diese Menschen oft nicht gut erreichen können. Um darauf reagieren zu können, muss man sich an den Menschen orientieren und flexibel agieren können.