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Mitarbeitendenportrait: „Menschen auf Augenhöhe begegnen“

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Andreas Klein haben wir als ehrenamtliche Nachtbereitschaft in der Notübernachtung der Neuen Chance kennengelernt. Heute leitet er die Notübernachtung Storkower Straße der GEBEWO pro.

„Lieber was mit Menschen machen“

Geboren wurde Andreas Klein 1988 in Heilbronn in Baden-Württemberg, wo er auch aufwuchs. Fast wäre er in Tadschikistan zur Welt gekommen, denn erst drei Wochen vor seiner Geburt durften seine Eltern im Rahmen von Glasnost und Perestroika endlich nach Deutschland umsiedeln. Ausreiseanträge hatten sie vorher schon mehrfach vergeblich gestellt. Seine Eltern mussten ihr Hab und Gut einschließlich Bauernhof zurücklassen und „konnten nur das mitnehmen, was in zwei Koffer passte“. In der Audi-Stadt Heilbronn zog es viele Bekannte und Freunde nach dem Abitur zu den einschlägigen Studiengängen wie Maschinenbau oder BWL. „Soziale Arbeit hat von den Menschen in meinem Abi-Jahrgang niemand studiert“, sagt er rückblickend. Weil es damals hieß, „dass man sich mit sozialer Arbeit kein gutes Leben leisten kann“, entschloss sich Andreas Klein, in Stuttgart Architektur zu studieren. Schon bei seinem Praktikum in einem Architektur-Büro merkte er allerdings, dass „das nichts für mich ist und ich lieber etwas mit Menschen machen wollte“.

Von Stuttgart nach München bis in die Ukraine

Erfahrung im Sozialbereich hatte er bereits vor seinem Architektur-Studium als Zivildienstleistender bei der AWO gesammelt. Dort arbeitete er unter anderem in einem Kindergarten und begleitete einen Schüler, der im Rollstuhl saß, während seines Schulalltags. „Als Zivildienstleistender musste ich mich nicht besonders motivieren, zur Arbeit zu gehen. Das hat mir einfach Spaß gemacht.“ Nachdem er seine Pläne für das Architekturstudium an den Nagel gehängt hatte, begann Andreas Klein in München ein Bachelor-Studium der Empirischen Kulturwissenschaft mit dem Hauptfach Ethnologie und den Nebenfächern Literatur, Kultur und Sprachen: „Ich habe mich nach dem Abi ziemlich dumm gefühlt“, sagt er lächelnd, „das wollte ich durch ein kulturwissenschaftliches Studium korrigieren.“ Nach Abschluss seines Bachelors folgte ein kurzer Abstecher nach Freiburg, wo er ein Semester Philosophie studierte sowie Reisen in die Türkei, nach Bulgarien und die Ukraine.

Wohnungslosigkeit ist ein Teil der Realität

2016 bekam er an der Berliner Humboldt-Uni eine Master-Studienplatz, wo er sich seitdem mit den Schwerpunkten Social Media– und Medienforschung beschäftigt. Obwohl seine Masterarbeit digitale Lösch- und Vergessenspraktiken zum Thema hat, interessieren ihn die Bereiche Stadtplanung und Stadtentwicklung besonders. „Wenn alles planmäßig läuft, will ich im Frühjahr und Sommer die Masterarbeit fertigstellen“, sagt Andreas Klein. Eigentlich sollte sie schon gebunden auf dem Tisch liegen, aber viel Arbeit in der Notübernachtung Storkower Straße in den letzten Monaten verzögerte die Abgabe. Für den Verbund sozial.berlin arbeitet er seit rund drei Jahren. Sein Weg führte ihn über verschiedene Einrichtungen und Funktionen in die Notübernachtung im Prenzlauer Berg, die er zusammen mit seiner Kollegin Stephanie Lange koordiniert. „Obdachlosigkeit hängt eng mit meinem Thema Stadtentwicklung und meinem Interesse für das Soziale zusammen – das hat mich von Anfang an sehr interessiert.“ Wohnungslosigkeit sei ein Teil der Realität, da dürfe man nicht wegschauen. „Mir gefällt die Arbeit mit wohnungslosen Menschen, denen man auf Augenhöhe begegnen kann.“ Diese Arbeit möchte er in Zukunft gerne ausbauen.

Kulinarische Ausflüge und sportlicher Ausgleich

Auch wenn die Arbeit in der Notübernachtung gerade viel Zeit beansprucht: Raum für ein gutes Essen im Restaurant oder zu Hause bleibt immer noch. Gerade beim gemeinsamen Kochen ist es sicher von Vorteil, dass es einige „begnadete Köche“ im Freundeskreis gibt. Besonders reizt ihn italienisches oder jemenitisches Essen– aber auch „die guten chinesischen Restaurants mit Sichuan-Küche“. Darüber hinaus stehen deutsche Gerichte auf dem Speiseplan: Von Rouladen über Braten bis hin zu Spätzle. Ein- bis zweimal die Woche trifft er sich mit Freund*innen, um gemeinsam zu kochen oder essen zu gehen. Abtrainiert werden angefutterte Pfunde beim Joggen am Kanal oder am Plötzensee in seinem Wohnbezirk Wedding sowie im Sportstudio. Außerdem hält er sich mit Squash und Schwimmen fit. Das klingt wesentlich friedfertiger als seine früheren Sportleidenschaften Thai-Boxen und Taekwando.

Neue Zugänge zur Realität

Russische Literatur von Dostojewski begeistert ihn ebenso wie Bücher der russischstämmigen Autorin Olga Grjasnowa. Zu seinen Lieblingsautoren zählen Wolfgang Herrndorf wegen seines „subtilen Humors“ sowie Max Frisch. Von den französischen Schriftstellern hat es ihm vor allem Michel Houellebecq angetan, der zwar „teils sehr zynisch, aber auch ungeschönt“ schreibe. „Ich mag Bücher, weil Schriftsteller und Schriftstellerinnen die Dinge oft besser auf den Punkt bringen, als man selbst und einen neuen oder anderen Zugang zur Realität schaffen.“ Seine Reisen, meistens mit Rucksack und Zelt im Gepäck, haben Andreas Klein auch über Europas Grenzen hinausgeführt. Kambodscha, Thailand, Vietnam und Kolumbien sowie Marokko standen bereits neben Osteuropa auf dem Programm. Die Sprachkurse an der Uni haben ihn wahrscheinlich gut auf seine Touren vorbereitet: Dort hat er etwas Spanisch, Französisch und Quechua gelernt. Russisch und Tadschikisch, die Muttersprache seiner Vorfahren, versteht er zumindest „ein wenig“.