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Foto: unsplash.com - Markus Spiske

Das Ende der Kriseneinrichtung für Frauen

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Im Jahr 2012 öffnete die erste und bis heute in Berlin einmalige Krisen- und Clearingeinrichtung für Frauen. Am 31.03.2022 müssen wir sie schweren Herzens schließen. Zehn Jahre haben wir für das Überleben der Kriseneneinrichtung gekämpft und schlussendlich verloren. Was für ein trauriges Jubiläum. Ein Statement zur Schließung von Heike Christ und Martin Helmchen, Geschäftsführer*innen der Bürgerhilfe Kultur des Helfens gGmbH.

Der Verlust eines (überlebens-)wichtigen Angebots

Die Frauenkriseneinrichtung muss nicht schließen, weil es keinen Bedarf an diesem besonders wertvollen Angebot gibt. Nicht, weil es an Bekanntheit in den Hilfenetzwerken Berlins und weit darüber hinaus mangelt. Nein. Dieser einzigartige Schutzraum für Frauen muss schließen, weil es das Land Berlin zehn Jahre lang versäumt hat, u. a. durch finanzielle Fehlanreize für die Bezirke und durch fehlende berlineinheitliche Grundlagen zur Leistungsgewährung, die Berliner Krisen- und Clearingeinrichtungen mit einer nachhaltigen und stabilen Existenz- und Finanzierungsgrundlage auszustatten – obwohl die vorgesehenen Gelder im Haushalt zur Verfügung stehen. An 365 Tagen im Jahr haben wir rund um die Uhr Opfer von Gewalt aufgenommen – Frauen, die von Zwangsheirat bedroht waren – Frauen, die aus der Psychiatrie entlassen wurden – sowie Frauen, die ansonsten durch alle Raster des sozialen Hilfesystems fallen. Nicht nur für die betroffenen Frauen, deren besonders schwierige Lebenssituation vor allem von Verzweiflung geprägt ist, hatte unser Angebot eine (überlebens-)wichtige Funktion. Auch für die Berliner Krisendienste, Gewaltberatungsstellen, psychiatrische Abteilungen der Berliner Kliniken ebenso wie für die Berliner Polizei waren wir oft die einzige Kontaktstelle, um sofort Lösungen für Frauen in Not zu finden. Entsprechend sollte man meinen, dass die Berliner Sozialämter froh darüber waren, dass Frauen in existenziell bedrohlichen Krisensituationen in Berlin bei uns eine adäquate Unterbringung und eine individuelle, bedarfsorientierte Betreuung erhalten.

Das Problem war jahrelang bekannt

Obwohl die Anfragezahlen konstant hoch waren, spiegelte sich das in unseren Belegungszahlen nie wider. Zehn Jahre lang wurden beantragte Hilfemaßnahmen häufig gar nicht oder nur für einen sehr kurzen Zeitraum bewilligt. Zehn Jahre lang haben wir die Unterbelegung finanziell ausgeglichen, damit Frauen in Krisensituationen diesen wichtigen Ort nicht verlieren. Das können wir uns buchstäblich nicht mehr leisten.
Jahrelang haben wir gemeinsam mit den anderen Krisen- und Clearingeinrichtungen und mit großer Unterstützung unserer vielfältigen Netzwerke dem Land Berlin – insbesondere der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und der Senatsverwaltung für Finanzen – versucht klarzumachen, dass das Verfahren der Basiskorrektur im Planmengenverfahren vor allem im Bereich der 67er-Hilfen mittel- und langfristig zu einem Schwund innerhalb der Angebotslandschaft führen wird. Nach dem Ende der Krankenwohnungen verschwinden jetzt die Krisen- und Clearingeinrichtungen. Wir haben mehrfach alternative Finanzierungsmodelle vorgelegt und deren Vorteile für alle Beteiligten hervorgehoben.

Die geplante Rettung kommt für uns zu spät

Erst durch unseren Brandbrief im November 2021, den wir an viele Stellen im Land Berlin geschickt haben, und den offenen Appell unserer Mitarbeiterinnen Anfang Dezember ist auf verschiedenen Ebenen endlich etwas in Bewegung geraten. Wir begrüßen, dass die Rettung der Berliner Krisen- und Clearingeinrichtungen Einzug in den Berliner Koalitionsvertrag gefunden hat. Wir befürworten außerdem, dass die prekäre Finanzierung der Krisen- und Clearingeinrichtungen nun im Abgeordnetenhaus thematisiert wurde und man sich endlich für die Herausnahme der 67er-Hilfen aus dem Planmengenverfahren, allen voran der Leistungstyp der Krisen- und Clearingeinrichtungen einsetzen will. Aber der Preis ist hoch: Denn für unsere Einrichtung kommt dieses Vorhaben zu spät. Wir hoffen sehr, dass die geplanten Änderungen der Berliner Regierung wenigstens das Fortbestehen der noch zwei existierenden Einrichtungen des Leistungstyps Krisen- und Clearingeinrichtung sichern kann. Leider sehen die Senatsverwaltungen für die Bereiche Gesundheit und Jugend ihrerseits weiterhin keinen Bedarf zur gemeinsamen Klärung der zukünftigen Finanzierung bzw. Existenz der Krisen- und Clearingeinrichtungen, obwohl die Zuständigkeit insbesondere bei psychisch kranken bzw. jungen Menschen mehr als offensichtlich ist. Leider sieht auch die Senatsverwaltung für den Bereich Frauen weiterhin keinen Bedarf zur gemeinsamen Klärung der zukünftigen Finanzierung bzw. der Krisen- und Clearingeinrichtungen, obwohl immer schnelle und konkrete Maßnahmen im Rahmen der Istanbul-Konvention gefordert werden.

Trauer, Wut aber auch Dankbarkeit und Hoffnung

Wir sind traurig, dass die Hilfe für unsere Kriseneinrichtung zu spät kommt. Wir sind wütend, dass unsere Appelle und Lösungsvorschläge so lange nicht gehört wurden. Wenn am 31.03.2022 die Türen der Krisen- und Clearingeinrichtung für Frauen endgültig schließen, gehen 16 Plätze für Frauen in großer Not und existenzielle bedrohlichen Lebenslagen verloren. Das ist und bleibt ein Skandal. Auch unser Team aus Fachkräften und Nachtdiensten verliert mit der Schließung der Kriseneinrichtung ihre Arbeitsplätze, auch wenn wir fast allen alternative Stellen innerhalb unseres Trägerverbunds sozial.berlin anbieten konnten.
Unsere Mitarbeiterinnen haben zehn Jahren lang rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr alles gegeben, um Frauen einen Schutzraum zu bieten, wenn sie ihn am dringendsten brauchten. Sie haben unermüdlich für die die Bewilligung von berechtigten Hilfen für Frauen in extremen Notsituationen gekämpft. Dabei mussten sie über die Maße hartnäckig sein – trotzdem hatten sie wiederkehrend unverständliche und nicht nachvollziehbare Entscheidungen der Kostenträger hinzunehmen. Ihr Einsatz, ihr Engagement und ihre Hartnäckigkeit haben uns all die Jahre sehr beeindruckt und wir sind dankbar, dass sie trotz aller Widrigkeiten nie aufgegeben haben, sich für Frauen in Not einzusetzen. Auch die vielfältige Unterstützung, der Zuspruch und die Solidarität, die wir insbesondere in den letzten Monaten aus der Berliner Hilfelandschaft, von Initiativen aus ganz Deutschland und aus der Bevölkerung erhalten haben, haben uns sehr bewegt.
Dass sich so viele Menschen für den Erhalt unserer Einrichtung eingesetzt haben, lässt uns trotz dieses harten Rückschlags hoffen, dass im Einsatz für eine bessere Versorgung von Frauen in Not noch nicht alles verloren ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt – deshalb lasst uns auch weiterhin gemeinsam dafür kämpfen, dass es in Zukunft mehr statt weniger Schutzräume geben wird, um Frauen auf dem Weg zurück in ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben zu unterstützen. Besonders für Frauen in besonderen Lebenslagen, für Frauen in Armut, für Frauen ohne Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII; sie sind am schwächsten und brauchen unsere Unterstützung am meisten.